Heute morgen checken wir aus unserer unglaublichen Suite aus
und haben noch keine Ahnung was uns in Tokyo erwartet – hoteltechnisch.
Gretel hat eine Erkältung und fühlt sich entsprechend. Sogar
den Kaffee lässt sie heute morgen weg. Das Packen fällt uns sichtlich schwerer,
denn obwohl wir beide in den letzten Tagen einige alte Klamotten entsorgt haben
und auch Schuhe dagelassen haben, sind doch auch ein paar neue Sachen und vor
allem Geschenke für die Lieben daheim dazu gekommen.
Der Hotelbus bringt uns zum Bahnhof und der äußerst
freundliche Fahrer, der sich zu Beginn der Fahrt bei allen vorstellt und
verneigt, stellt am Bahnhof sogar einen kleinen Hocker vor den Bus, damit die
letzte Stufe nicht so hoch ist, wenn wir aussteigen.
Ein letztes Mal buchen wir uns Sitzplätze im Shinkansen. Der
japanische ICE, der überpünktlich ist und rasend schnell… Ich finde ihn weniger
gemütlich als unseren ICE, er ist funktional und kühl. Dafür ist er aber nie zu
spät und wenn ich die Wahl hätte, würde ich nur noch Shinkansen fahren.
Das Einsteigen fällt uns dieses Mal ein wenig schwer. Wir
kommen zum Gleis. Hier muss man nun wissen, dass auf dem Boden Aufkleber sind
mit den Wagennummern. Wir haben also noch ein paar Meter zu gehen bis wir uns
in die auch auf dem Boden vorgeklebte Schlange einreihen können. „Links rum“
fragt Gretel weil auf der rechten Seite eine Schulklasse steht. Die sind ja
immer gut zu erkennen, weil sie Uniformen anhaben. „Ja, links rum“ – da kommen
aber gerade eine Menge Leute aus dem Zug vom Gegenübergleis. Das ist keine
Option. „Also doch durch die Schulklasse“ – „OK“. Das ist nur leider kein
Klassenausflug sondern ein Schulausflug. Das Meer an dunkelhaarigen, mit
dunkelblauen Outfits bekleideten Teenagern hört überhaupt nicht auf. Gretel
fällt mit ihrer grünen Jacke und ihren blonden Haaren zum Glück auf, sonst
hätte ich sie schon lange im Meer der Uniformen verloren… Was ein Glück! Unsere
Sitzplatzreservierung ist im Wagen hinter der Schule.
Die 3h nach Tokyo gehen mit „Zeit Magazin“ lesen vorbei. So,
die kann ich nun auch endlich entsorgen und so habe ich wenigstens nicht
weiterhin das schlechte Gewissen, dass ich keine meiner abonnierten Zeitungen
lese.
Der Hauptbahnhof von Tokyo ist voll! Wir sind definitiv
wieder zurück, wo wir vor genau 2 Wochen gestartet haben. Nach Shinjuku kämpfen
wir uns durch die Massen vor und im dortigen Bahnhof sind wir erst einmal
komplett verloren. Es wird gebaut und wir stecken fest in einem Dschungel aus
Treppen – weit und breit weder ein Aufzug noch eine Rolltreppe – und das mit
unserem ganzen Gepäck. Kriegen wir hin, stehen vor dem Bahnhof und sehen vor
lauter schwarzen Köpfen kein Ende. Unser Hotel liegt mitten in Shinjuku, dem
Viertel, in dem es auch tagsüber überall blinkt und schreit. Haben wir uns das
gut überlegt? J
Durch die Fußgängerzone schlagen wir uns durch. Zum Glück
ist hier am späten Nachmittag noch nicht so viel los, wie später am Abend.
Unser letztes Hotelzimmer liegt im 25. Stock – Score! Wir stehen im Aufzug und
freuen uns riesig. Noch. Insgesamt hat unser Zimmer 11qm… Außer dem
sensationellen Blick können wir ihm auch nach 2 Nächten nichts abgewinnen. Wir
können uns kaum drehen. Das Zimmer ist genauso breit wie das Bett lang ist. Den
Stuhl, der am winzigen Schreibtisch steht, drehen wir kurzerhand um und stellen
ihn auf die Tischplatte. So kann wenigstens 1 Koffer halb aufgeklappt unter den
Tisch. Der andere liegt – auch nur halb offen – zwischen Bett und Kühlschrank.
Und schon ist das Zimmer voll. Nach unserer Suite, aus der wir heute morgen
ausgecheckt haben, schon ein kleiner Kulturschock.
In Japan wird es dunkel, aber in Tokyo – und in unserer
Gegend – bleibt es taghell! Läden, Restaurants, Bars, Nachtclubs, Sexshops,
„Massage“-Studios, alle kämpfen um die Aufmerksamkeit der sich vorbeischiebenden
Menge mit noch helleren Neonröhren, noch schneller blinkenden Schildern, den
anderen übertönenden Lautsprechern aus denen Musik oder eine japanische Stimme
dröhnen. Das einzige Wort, das mir hier einfällt: Reizüberflutung! Das Gehirn
kann gar nicht so schnell mitdenken, wie hier die unterschiedlichen Eindrücke auf
es einprasseln. Wer schonmal am Times Square war, kann sich das vorstellen, als
ob der Times Square ein komplettes Stadtviertel ist und auf Speed!
Zum Glück gibt es immer mal wieder kleine Seitenstraßen, die
ein wenig ruhiger sind. Hier erholen wir uns. So landen wir auch in einer
extrem engen Gasse, in der sich zwar die Touristen durchschieben, die aber
trotzdem supercool ist. Hier gibt es Bars und Restaurants, die keine 2m breit
sind. Es gibt eine Theke in der Mitte, von der auf der einen Seite der Besitzer
kocht und Getränke ausschenkt und auf der anderen Seite ein paar Hocker, auf
denen max. 6 Leute Platz haben. Wenn der, der ganz hinten sitzt, aufstehen
will, müssen alle aufstehen und ihn rauslassen. Hier gibt es allerhand
Gebratenes am Spieß – es raucht aus einigen der „Restaurants“ ordentlich in die
Gasse. Wir laufen weiter. Hier einen Platz für 2 zu kriegen scheint unmöglich.
Nach ein wenig Shoppen gehen wir in ein empfohlenes
Ramen-Restaurant und haben wie so oft Glück bevor sich eine riesen Schlange
bildet. Hier bestellt man wieder an einem Automaten sein Gericht – zum Glück
gibt es von allem immer Bilder – und wartet dann vor der Tür bis ein Platz frei
wird. Auch hier gibt es nur Thekenplätze. Restaurants, in denen man ein
gemütliches Essen zu sich nimmt, gibt es hier nicht besonders viele.
Wir wandern noch ein wenig ohne Ziel durch die Straßen und
kommen auch am sehr beworbenen Roboter-Restaurant vorbei. Unsere Vorstellung
deckt sich nicht wirklich mit der Realität. Es ist unglaublich hell in der
kompletten Straße, aber das Robot-Restaurant ist eigentlich eine Show. Der
Eintritt kostet unglaubliche 85USD.
Unser Hotel hat ein Onsen, und das klingt nach dem krassen
Spaziergang hier sehr gut. Uh, das warme Wasser… Aus dem krassen Ausgehalter
sind wir beide einfach schon raus. J
Ich bin später noch unten in der Lobby, da sehe ich wie
gestylt die jungen Japanerinnen ausgehen. Mit extrem hohen Plateauschuhen, sehr
kurzen Kleidchen, zurechtgemacht ein wenig wie die Maids im Cafe vor 2 Wochen,
die Haare zu 2 Zöpfen hochgebunden, staksen sie hier kichernd aus dem Aufzug,
dicht gefolgt von westlichen Männern in Poloshirts, die sehr stark nach After
Shave riechen. Shinjuku scheint jetzt erst so richtig aufzuwachen. Aber mir
reicht es um 2 Uhr morgens. Ich gehe zu einer niesenden, schnupfenden Gretel in
unsere 11qm. J
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